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Sozialdemokratie – Loblied und Abgesang

14. Februar 2016
© Arne Müseler / www.arne-mueseler.de / CC-BY-SA-3.0

© Arne Müseler / http://www.arne-mueseler.de / CC-BY-SA-3.0

Nöte eines Vizekanzlers

Den Sozialdemokraten wurde von gehässigen Kritikern wiederholt der Untergang prophezeit. Die Reformismusdebatten um 1900, die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, die Teilhabe an der Kriegswirtschaft ab 1916, der Verrat an der “sozialistischen Revolution“ von 1918, die Konstitution der „Weimarer Verfassung“, das Versagen 1933 wurden als Schlagzeilen herausgestellt, um die „Fehler“ sozialdemokratischer Politik zu begründen. Niemand dieser Kritiker konnte leugnen, dass diese Partei tiefe Spuren in der deutschen Geschichte hinterlassen hatte. Nach 1945 gehörte sie zu den Bausteinen der Bundesrepublik. Sie wurde mehr und mehr in die Position einer „grossen Koalition“ mit der CDU/CSU gedrängt. Trotz oder wegen dieser Tendenz zum politischen Bündnis mit dem christlichen Gegner, festgeschrieben im „Parteienprivileg, brachte die SPD hervorragende Politiker und Kanzler hervor. Nur einige Namen sollen genannt werden: Kurt Schumacher, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder. Weiterlesen …

Junge Frau von 1917 – Zum Tode von Dr. Ursula Besser

13. Januar 2016

Revolutionsrausch

Am 19. Dezember 2015 verstarb Frau Dr. Ursula Besser in einem Pflegeheim in Hamburg. Am 5. Januar 2016 wäre sie 99 Jahre alt geworden. Wir lernten uns vor 20. Jahren persönlich kennen. Als CDU – Politikerin und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses war sie zuständig für die Berliner Universitäten in den sechziger und siebziger Jahren. Sie sollte herausfinden, ob die „Westabteilung der SED“ in der DDR eine Studentenrevolte in Westberlin in Gang gebracht hatte und ob die Nachfolgeorganisationen dieser „Unruhen im Überbau“ an der langen Leine der SED oder der „Hauptabteilung Aufklärung“, HVA, liefen. Die „Aktionsgemeinschaft für Demokraten und Sozialisten“ (ADS) wurde von der CDU genauso kritisch gesehen wie die „Roten Zellen“, der „Kommunistische Studentenverband“ (KSV), der „Kommunistische Bund Westdeutschland“ (KBW), die „Proletarische Linke, Parteiinitiative“ (PLIPI), die „Gruppe internationaler Marxisten“ (GIM), die „Marxistische Gruppe“ (MG) oder die „Autonomen“ und „Spontis“. Weiterlesen …

Deutschland zwischen Ost und West

4. Juni 2015

Georg Lukacs und Talcott Parsons über die deutsche Ideologie

Die russische Herausforderung

Die Weltkongresse der Kommunistischen Internationale (Komintern) wurden eingeleitet durch Reden, die die Perspektiven der russischen Revolution in der Welt umschrieben. Unvergessen bleiben die Referate von Wladimir I. Lenin, Leo D. Trotzkij, Gregorij Sinowjew und Georgij Dimitroff auf den Treffen der Komintern 1921, 1928 und 1936. Eine russische Epoche wurde für Europa angesagt. Die russische Revolution vom Oktober 1917 würde die Welt und primär Europa verändern. Die Linksrevolutionen und der europäische Faschismus wurden motiviert durch die Erfolge der Bolschewiki, behaupteten die Agitatoren. Gegen die Dekadenz und das Chaos, das die Herrschenden stifteten, konnten politische Minderheiten in die „Offensive“ gehen. Die Völker und Klassen akzeptierten den Oktoberputsch von 1917, denn die Zeit nach einem verheerenden Krieg, nach dem Ende der ersten kapitalistischen Zivilisation wies das Potential auf, über radikale Umwälzungen ein politisches  Neubeginnen einzuleiten. Weiterlesen …

Finanzkapitalistische Raumrevolution

9. Januar 2013
Foto: Melkorn / Wikipedia, Lizenz: GFDL

EZB Gebäude Frankfurt/Main (Foto: Melkorn / Wikipedia, Lizenz: GFDL)

Ein Anfall

Im Haushaltsausschuss des Bundestages verlor Finanzminister Schäuble in den letzten Novembertagen 2012 jeden Anstand. In Brüssel und in Paris hatte er sich darauf eingelassen, dass die Bundesrepublik erneut Milliardenbeträge nach Griechenland pumpen würde, um dort den Staatsbankrott zu vermeiden. Das überschuldete Griechenland, ein Mafiastaat, der jede moderne Verwaltung und Aufsicht vermissen liess, eine Gesellschaft, unterentwickelt, ohne produktive Industrie und Landwirtschaft, strategischer Militärstützpunkt der NATO, heruntergekommerner Tourismusort, unterschied sich vom technologisch und industriell hochgerüsteten Zentraleuropa grundsätzlich. Hinzu kam, dass die vergangenen Militärdiktaturen und eine von der Mafia gesteuerte „Demokratisierung“ vermieden, den Sozial- und Militärstaat mit einer modernen Steuergesetzgebung und rationalen Bürokratie zu verbinden. Die Kontrollen durch das Parlament blieben mangelhaft. Selbst die europäischen Auflagen und Rechtsdirektiven wurden missachtet. Ein aufgeblasener Apparat diente als Selbstbedienungsladen der Staatsangestellten, der Spekulanten und des organisierten Verbrechens. Der Parasitismus der unterschiedlichen sozialen Schichten wurde sogar noch gefördert und die EU Zuschüsse grosszügig verteilt. Gewinne und Profite wurden nicht registriert und versteuert und eine masslose Verschuldung eingeleitet. Sie wurden über landeseigene und internationale Privat- und Kreditbanken, Hedgfonds und über die europäische Umverteilungen finanziert. Alle lebten in Saus und Braus. Weiterlesen …

„Sozialismus und Barbarei“ — Zur Theorie der negativen Aufhebung

10. Juni 2012

Fragen über die verdrängte Idee des Sozialismus – ein Interview

Vorbemerkung: Zur Marxismusrezeption in Nachkriegsdeutschland
Eine Wiedergeburt des Marxismus in Ost und West nach 1956
In den sechziger und siebziger Jahren wurde die Kritik an Gesellschaft und Staat in der Bundesrepublik begleitet von einer aufregenden Bestandsaufnahme des Marxismus. Die theoretischen Fraktionen einer Generations- und Studentenrevolte wollte die Marx’sche Theorie nutzen, Einsichten zu gewinnen, die Auskunft geben konnten über die eigene Zukunft. Sie wollten wissen, in welchem „Land“ sie lebten und ob die tragische Vergangenheit Deutschlands sich wiederholen würde. Schon deshalb wurden die marxistischen Theoriedebatten und Streitgespräche nach 1918 aufgenommen und ergänzt  durch neue Erkenntnisse. Diese Diskussionen hatten unterschiedliche Schwerpunkte. Sie wurden in der DDR inspiriert durch die Arbeiten und „Schulen“ von Eugen Varga und Jürgen Kuszinsky und reagierten auf die Jahre 1918, 1933, 1945 und auf das Ende des Kriegskommunismus, dessen Überwindung 1956 mit dem XX. Parteitag der KPdSU eingeleitet wurde. Zugleich erlaubte die Herausgabe der Marxschriften (Marx – Engels – Werke, MEW) neue Einblicke in die Breite des marxistischen Denkens.  Im Westen befassten sich die Lehrstühle von Wolfgang Abendroth, Iring Fetscher, Otto Stammer, Ossip K. Flechtheim, Klaus Heinrich, Willfried Gottschalk,  und Hansjoachim Lieber in Marburg und in Westberlin mit dem  „jungen Marx“, mit den Marxismusdiskussionen in der KPD der Weimarar Republik und mit dem sozialdemokratischen Austromarxismus. Das Institut für Sozialforschung in Frankfurt/ Main hatte die „negativen Perspektiven“ der Aufklärungsphilosophie und des Marxismus im modernen Kapitalismus zum Thema. Weiterlesen …

April 1968: Sturm auf das Springer-Hochhaus

17. April 2012

Politische Konstellation nach dem 2. Juni 1967 in Westberlin

Foto: Andreas Praefcke / Wikipedia (Lizenz: gemeinfrei)

Der Tod von Benno Ohnesorg wurde von den unabhängigen Zeugen und Beobachter als eine Art Hinrichtung gesehen. Für die Studentenschaft blieb der angesetzte Todesschuss eines Zivilpolizisten auf einen unbekannten Studenten unfassbar. Nicht erklärt werden konnte, was dieser „Mord“ bezweckte? Es blieb zweifelhaft, warum die Polizeiführung in Westberlin an der Aufdeckung dieser Tat nicht interessiert war und die vielen Zeugen aus den Polizeidiensten veranlasste, keinerlei Aussagen zu machen oder falsche Behauptungen aufzustellen? Unverständlich bleib, warum die Lokalpolitiker aus CDU und SPD sich hinter die Polizei stellten und so taten, als hätten die linken Studenten diesen Tod provoziert? Entsetzen über die Medien kam auf, die in der westlichen Teilstadt die Bevölkerung gegen die Studenten aufhetzten und ihnen die Schuld gaben an der Zuspitzung der Lage und an den brutalen Polizeieinsätzen.

Meinungsmässig wurde die westberliner Teilstadt geteilt in eine Minorität westdeutscher und ostdeutscher „Abhauerstudenten“. Diese wollten den Wehrdienst nicht in der Bundeswehr oder in der Nationalen Volksarmee antreten, Sie studierten an den Fachhochschulen und Universitäten Westberlins. Die Majorität der Bevölkerung distanzierte sich von dieser studentischen Minorität. Diese „Mehrheit“ verkörperte den „Kalten Krieg“ gegen den Osten und das Vorurteil gegen eine liberale Gesinnung. Der Springerkonzern beherrschte die Zeitungswelt und selbst die kleinen Parteiblätter wie „Kurier“ und „Telegraf“ oder die ehrwürdige Tante „Tagesspiegel“ verliessen nicht die von „Bild“, „Morgenpost“, „BZ“ und „Welt“ propagierte Volksgemeinschaft. Erst die westdeutsche Presse, „der Spiegel“, „die Zeit“, „der Stern“, „Frankfurter Rundschau“, westdeutsche Rundfunk- und Fernsehstationen deckten einige Hintergründe des Polizeieinsatzes in Westberlin auf. Ein Untersuchungsausschuss über die Ereignisse am 2. Juni wurde von den „Allgemeinen Studentenausschüssen“ der westberliner Universitäten eingerichtet, um Zeugen und Aussagen zu konzentrieren und einen Prozess gegen den Todesschützen Karl Heinz Kurras, gegen die Polizeiführung und gegen die verantwortlichen Politiker vorzubereiten. Ausserdem sollte Fritz Teufel freikommen, dem von Polizei und Staatsanwaltschaft vorgworfen wurde, mit Steinen geworfen zu haben.

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Am Rande der Legalität. Zum Verbot der NPD

5. März 2012

Das letzte Verfahren eines Antrags des damaligen Innenminister Otto Schily (SPD), die NPD zu verbieten, wurde vor fast 10 Jahren vom Bundesverfassungsgericht verworfen. Die Vorwürfe umfassten die Delikte des Antisemitismus, der Volksverhetzung, des Rassismus, der Verherrlichung der NS-Diktatur und der Leugnung des Holocaust. Einzelnen Funktionären und Mitgliedern der NPD konnten diese Straftaten und Vergehen zugeordnet werden. Und es hieß, dass diese Partei sich als eine Nachfolgeorganisation der NSdAP verstand.

Der seinerzeitige offizielle Rechtsvertreter der NPD, Horst Mahler, setzte in seiner Verteidigungsstrategie auf die nicht unerhebliche Unterwanderung der NPD durch Verfassungs- und Staatsschutz, angesichts derer die Urheberschaft der identifizierten Straftaten diffus geriet und womöglich als gezielte Provokationen von Verfassungsschutzleuten in der Partei lanciert worden sein könnten. Einige Führungsfiguren der NPD schienen in der Tat von den als Gegenleistung getätigten materiellen Zuwendungen durch den VS erheblich zu profitieren und einen Lebensstil zu pflegen, der ihrer realen Einkommenssituation nicht entsprach. Offenbar war das Ausmaß der Unterwanderung der Partei durch deutsche und möglicherweise auch ausländische Dienste so groß, dass drei Bundesverfassungsrichter eine Partei nicht verbieten mochten, deren rechtswidrige Aktivitäten in erheblichem Umfang auf das Wirken von Staatsbeamten und Spitzeln zurückzuführen sein könnten. Über ein Verbot könne erst dann mit Aussicht auf Erfolg nachgedacht werden, wenn zuvor alle V-Leute abgezogen worden seien und sich auch danach weiterhin Straftaten durch Parteifunktionäre und -mitglieder nachweisen ließen. Die NPD wurde also nicht verboten. Die Blamage des gescheiterten Verbotsantrages des Innenministers belegte den komplizierten Status einer Partei, die unter der eindeutigen Kontrolle des Staates stand und steht.
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Epocheleben

6. Januar 2012

Zum 95. Geburtstag von Ursula Besser

Frau Dr. Ursula Besser, ursprünglich Ursula Roggenbuck, wurde am 5. Januar 1917 in eine Epoche des Streits um den deutschen Einheitsstaat hineingeboren, der 1848 begonnen hatte und erst nach 1989 ein vorläufiges Ende finden würde. Die deutsche Vereinigung unter der Hegemonie Preussens, 1871 gross gefeiert, wurde durch die Kriege gegen Dänemark, Österreich-Ungarn und Frankreich durchgesetzt und wies schon deshalb die Sprengminen zukünftiger Kriege auf. Der deutsche Zentralstaat, als Kaiserreich gegründet, hatte eine antiwesteuropäische Ausrichtung, die langsam, „nach Bismarck“, durch eine Gegnerschaft gegen Russland ergänzt wurde. Dadurch war der Zweifrontenkrieg 1914 und die Niederlage 1918 vorprogrammiert. Eine „Revanche“ lag in der Luft, falls die Demokratisierung und „Verwestlichung“ der Weimarer Republik nicht gelang und die sozialen und politischen Verlierer von 1918 an die Macht kamen. Die nationalsozialistische Diktatur wollte durchsetzen, was 1871 und 1914 misslungen war, Deutschland zur entscheidenden, zentraleuropäischen Macht zu erheben. Weiterlesen …

Spuren einer antijüdischen Linken

3. Januar 2012

Bonapartismus

Bruno Bauer (1809-1882)

Die Bonapartismustheorie von Marx, unterschiedlich in den Frankreichschriften oder in den Entwürfen zum „Bürgerkrieg“ in Frankreich vorgestellt, diskutierten wir in den Seminaren an der Universität und in den Schulungszirkeln des SDS am historischen Beispiel der Arbeiten von Arthur Rosenberg, August Thalheimer, Heinrich Brandler, Ossip K. Flechtheim u. a., die wiederum die Sozialgeschichte der Weimarer Republik nach den Marx’schen Vorlagen entschlüsselt hatten. Für Marx war eindeutig, dass die Revolution in der Hauptstadt Paris nicht erfolgreich sein konnte, wurden nicht die anderen Städte und das flache Land in den revolutionären Prozess einbezogen. Die revolutionäre Intelligenz, die Künstler, Literaten, Philosophen und Berufsrevolutionäre, die Handwerker und Manufakturarbeiter erreichten selbst in der Stadt nicht die Mehrheit. Die revolutionären und konterrevolutionären Kräfte stützten sich jeweils auf früh- oder vorkapitalistische, soziale Schichten oder politischen Fraktionen und waren nicht selten organisatorisch als Führerparteien oder Gefolgschaften „grosser Männer“ aufgebaut. In der Mentalität der Parteigänger, in Ideologie und Theorie unterschieden sie sich grundsätzlich. Weiterlesen …

Der Tod des „Behemoth“

17. November 2011

Behemoth and Leviathan (Lithographie von William Blake)

Geheimtipp

Bei der Rezeption der politikwissenschaftlichen Theoriegeschichte nach 1968 kam niemand an den Gutachten und Theorieentwürfen von Carl Schmitt vorbei. Dieser Grenzgänger zwischen bürgerlicher Demokratie und Diktatur hatte durchaus Berührungspunkte mit Karl Marx und W. I. Lenin. Allein sich zu bemühen, einen „Begriff des Politischen“ im Zeitalter der Krisen, Revolutionen und Weltkriege zu entwerfen, der den Ausnahmestaat oder „Sondergesetze“ zum Inhalt hatte, erinnerte an die vielfältigen, marxistischen Diskussionen über den Charakter und das Ziel der „Diktatur des Proletariats“. Schon deshalb gehörte Carl Schmitt zur geheimnisvollen „Theoriegeschichte“, die in den sechziger und siebziger Jahren im Zentrum der akademischen und politischen Diskussionen stand.
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